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Kühlen – Kälte fördert die Regeneration?

Fast jeder* kennt die PECH-Regel nach Verletzungen: „Pause. Eis. Compression. Hochlagern.“ Dem Eis und dem Kühlen werden nahezu wundersame Heilungsmöglichkeiten zugesprochen. Stimmt das und woher kommt das?

Nahezu jeder greift bei Verletzung schnell zum Eisbeutel. Vorsorglich werden oft schmerzende Gelenke runtergekühlt, dass jeder „Whisky on the Rocks“ neidig wird. Auf sozialen Medien sieht man immer öfter Menschen beim Eisbaden. Cryotherapie erfährt eine Renaissance durch Mikrostudios in denen sich Sportler für kurze Zeit bei -110 C° in eine Kältekammer begeben. Beworben wird alles mit „Regenerativen Effekten“. Aber was bringt das wirklich?

Icebathing

In letzter Zeit gibt es immer mehr Erkenntnisse, welche belegen wollen, dass Kühlung oft gar nicht so gut ist und sogar kontraproduktiv sei. Dr. A. Horschig fasst diese sehr gut auf seinem Blog zusammen.

Der Erfinder der PECH Regel von 1978 (Dr. Gabe Mirkin) meldete sich 2013 wieder zu Wort und revidierte seine ursprüngliche These. Nun ist er der Meinung leichte Bewegung führt im Gewebe schneller zu Heilung und lindert Schmerz nach Verletzungen schneller als Eisbehandlungen.

Kühlung reduziert Schwellungen und wirkt entzündungshemmend – richtig! Doch genau diese natürlichen Prozesse sind Teil der Regeneration und können nicht übersprungen werden. Der menschliche Körper brauchte zwei Millionen Jahre, um diese Prozesse evolutionär zu entwickeln – und jetzt pfuscht er sich selbst wieder rein 😉

Durch starke Kühlung können diese Prozesse sogar verlängert werden.
Einfach ausgedrückt werden durch Schwellungen zerstörtes Gewebe abtransportiert. Es gibt zwei Möglichkeiten wie „etwas“ abtransportiert werden kann: durch unseren Blutkreislauf – angetrieben durch unser immer schlagendes Herz. Jeder weiß, dass das Herz schneller schlägt, wenn man sich bewegt = mehr Durchblutung, wenn mehr Bewegung. Oder durch das lymphatische System. Welches nur aktiv ist, wenn wir aktiver sind.

Sanft und richtig durchgeführte Bewegung wirkt abschwellend, baut Entzündungen ab und reduziert Schmerz. Sie führt zu Spannungsreduktion und dadurch besserer Beweglichkeit. Natürlich wirkt – wie bei jeder Überdosierung – zu intensiv durchgeführte Bewegung auch kontraproduktiv.

Auch bei Muskelkater oder der härteren Variante DOMS (delayed onset muscle soreness) kann leichtes Mobility Training (zB Foam Rolling), das Durchbewegen von Gelenken oder sogar ein Spaziergang besser wirken als Kältepackungen.

Was bewirkt aber nun Kälte?

Wer sich mit dem Thema Kälte beschäftigt kommt nicht an Wim „The Iceman“ Hof vorbei.

Über Wim Hof sagt man er sei Extremsportler der besonderen Art. Er absolvierte einen Marathon bei -20° Grad, bestieg den Kilimandscharo in Shorts und Schuhen. Oder er sitzt 2 Stunden im Eiswasser ohne Erfrierungen zu bekommen.

Wie kann er das erreichen?

Er nennt sie zwar „Wim-Hof-Methode“, sagt aber selbst, dass sie nichts Neues sei. Sie besteht aus Meditation, Atemtechnik, Bewegung und Kälteanwendungen.
Sebastian Kneipp empfahl um 1890 schon Wärme-Kälte-Bäder um den Stoffwechsel und die Durchblutung anzuregen, Verspannungen zu lösen, sowie um sich Abzuhärten. Mit großem Erfolg.

Laut einer Studie erreicht Hof durch gezielte Hyperventilation einen Anstieg der Adrenalinausschüttung seines Körpers, seiner Pulsfrequenz und des Laugengrades seines Blutes. So könne er sein Immunsystem beeinflussen, sowie das Entstehen von Entzündungsreaktionen im eigenen Körper bewusst kontrollieren und steuern. Eine mögliche „Stärkung“ des Immunsystems oder einen damit verbundenen Schutz vor Infektionskrankheiten fehlen jedoch wissenschaftlich aussagekräftige Hinweise.

Nichtsdestotrotz wird berichtet, dass seine Methoden Erfolge verzeichnet:

  1. Mehr Fokus und Energie. Die Meditation und bewusste Konzentration wirken sich positiv auf die Atmung aus. Das sympathische Nervensystem wird aktiviert.
  2. Oxidativer Stress und höhere Widerstandsfähigkeit gegen Stress. Durch die Aktivierung des Immunsystems und die meditative Komponente wird Stress abgebaut.
  3. Besserer Schlaf. Durch ein geringeres subjektives Stressempfinden.
  4. Gestärktes Immunsystem durch die Ausschüttung von entzündungshemmendem Adrenalin und der Vermehrung von Leukozyten.
  5. Erhöhte Fettverbrennung, vor allem weißes Fett, aus dem die Fettpölsterchen sind. Die Kälte fördert gleichzeitig den Aufbau von braunem Fettgewebe. Dieses Fettgewebe ist für die Thermogenese, also die körpereigene Wärmeproduktion, verantwortlich.
  6. Verbesserte Regeneration durch bessere Durchblutung und den damit verbundenen schnelleren Abbau von Stoffwechselendprodukte wie Laktat. Zudem werden die zu regenerierenden Strukturen mit mehr Sauerstoff und Nährstoffen versorgt.

Der letzte Punkt steht zwar im Widerspruch zu den weiter oben erwähnten Erkenntnissen (Mirkin & Co). Wim Hof reduziert jedoch seine Methode nicht auf das Kältebaden. Vermutlich liegt dieser Erfolg an der Kombination und Dosierung. Man muss erwähnen, dass die Wim-Hof-Methode zu Beginn keine Eisbäder, sondern kaltes Duschen und leichte Steigerungen vorsieht. Man muss sich nicht von Beginn an in einen gefrorenen See setzen.

Lange Zeit war es unerklärlich, wie er es schafft keine Erfrierungen zu bekommen. Mittlerweile bringt er vielen anderen Menschen seine Methode bei, und sie machen es ihm nach. Es funktioniert und der Erfolg gibt ihm Recht. Auch wenn die Wissenschaft teilweise noch immer nicht vollkommen von der Wim-Hof-Methode überzeugt ist – es ist etwas dran. Vielleicht liegt es am unbeugsamen Willen? Man sollte aber bei der Regeneration zwischen allgemeiner Regeneration und Regeneration nach Verletzungen unterscheiden.

Zusammenfassend kann man sagen, es kommt darauf an was man bezwecken will.

Wie bei so vielen Themen heutzutage muss man es differenziert betrachten – „es hängt davon ab“. Trotz allem sollte man sich der Kälte aussetzen – aber eher nicht aus regenerativen Gründen.

Leider gibt es auch hier kein Allgemeinrezept! Auch wenn die Wissenschaft von etwas überzeugt ist, man selbst diese Erkenntnisse aber mit jeder Faser ablehnt, ist jeder Nutzen hinfällig. Was man aber mit Sicherheit sagen kann: Beweg dich! Aber richtig 😉

Und tu was dir gut tut!

Eurer,
Niki

*Da wir eh alle gleich sind und aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Uns ist egal ob du m, w oder d bist 😉


Literatur und Links:

Mirkin G., & Hoffman M. (1978) The Sports Medicine Book. Little Brown & Co

Reinl G. (2014) Iced! The illusionary treatment option. 2nd Edition. Gary Reinl.

Kneipp S. (1896) Codizill zu Meinem Testamente für Gesunde und Kranke. Kösel.

Tiidus P. M. (2015) Alternative traetments for muscle injury: massage, cryotherapy, and hyperbaric oxygen. Current reviews in musculoskeletal medicine, 8(2):162-7

Beardsley C., & Skarabot J. (2015) Effects of self-myofascial release: a systematic review. J Bodyw Mov Ther. 19(4):747-58

Tseng C. Y., Lee J. P., Tsai Y. S., Lee S. D., (2013) Topical cooling (icing) delays recovery from eccentric exercise-induced muscle damage. J Strength Cond Res. 27(5):1354-61.

https://squatuniversity.com/2020/03/23/dont-ice-walk-it-off (2021)

https://www.wimhofmethod.com/science (2021)